Wiederentdeckt und entstaubt vom Stammdesch „Goode Junge“.

Ende der fünfziger Jahre hatte Coblenz einen Polizei-Inspektor, dem alle rheinischen Volksfeste als Unfug erschienen. Ihm, als geborener Ostelbier, war der rheinische Humor zuwider; er konnte es nicht begreifen, dass es Menschen gab, die, wenn sie ihr Tagewerk vollbracht hatten, sich noch bei Sang und Wein gemütlich zusammenfinden konnten. Dieser merkwürdige Mann, dendas Schicksal in unsere schöne Vaterstadt Coblenz verschlagen hat, war Junggeselle und hieß „Lode“. Seine Wiege stand, wie schon erwähnt, in Ostpreußen, und er konnte sich mit der Eigenart der Rheinländer, also auch mit uns Coblenzern, nicht zurecht finden. Polizei-Inspektor „Lode“, der sich vorgenommen hatte, alle rheinischen Sitten abzuschaffen, war deshalb eine gefürchtete Person und die Zielscheibe des Spottes, besonders zur Karnevalszeit, wo ihm öfters stark mitgespielt wurde. Sein „Heim“ hatte er in der „Brack“, jetzige „Moselstraße“, im „Goldenen Ring“ aufgeschlagen, woselbst er zwei Zimmer innehatte. Er hatte eine ansehnliche Größe, einen außergewöhnlichen Leibesumfang und trug einen sogenannten Preußenbart mit mächtigem Schnurbart. Auf Grund der erwähnten Charaktereigenschaften hatte „Inspektor Lode“ auch kein Verständnis für die Weißergasser Kirmes, suchte daher mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln dieses althergebrachte rheinische Volksfest für immer abzuschaffen. Unbegreiflicherweise fand „Lode“ bei seiner vorgesetzten Behörde Gehör, und das Unglaubliche geschah. Die Stadtverwaltung verweigerte die bisher übliche Hergabe des Kirmesbaumes, und die Polizei gab keine Erlaubnis zu den Tanzmusiken und sonstigen Lustbarkeiten.

Weißergasser Kirmes 1931

Die alteingesessenen Bürger nahmen diese Maßregel mit sehr großem Unbehagen auf und dies erreichte die Höhe, als der Vorabend der Kirmes so ganz sang- und klanglos verlief. Bis dato war in Coblenz so etwas noch nicht vorgekommen, man war sich auch keinerlei Ausschreitungen bewusst, die solch ein Vorgehen rechtfertigten. Sonntagmorgen kamen schon zeitig aus der übrigen Bürgerschaft Verwandte und Bekannte der Weißergasser, um an der Kirmesfeier teilzunehmen, denn in die Familien konnte das Polizei verbot nicht dringen, das konnte Herr „Lode“ noch nicht erreichen. Aber das Hauptstück fehlte. Die Aufstellung des Kirmesbaumes. Wie üblich gingen die meisten und ältere Weißergasser Einwohner zur Kirche und grübelten über das despotische Vorgehen der Polizei behörde nach, dass ein solch althergebrachtes Volksfest abgeschafft werden sollte. Um nun der Stimmung der Bevölkerung öffentlich Aus druck zu verleihen, haben zwei ehrsame Dachdeckermeister, die einer alten Weißergasser Familie angehörten, einen Plan ausgeheckt und denselben in Abwesenheit der meisten männlichen Einwohner auch alsbald zur Ausführung gebracht. Obengenannte Dachdeckermeister Philipp Heymann und Joh. Erben hatten sich eine Trauerweide beschafft, diese mit schwarzen Bändern und Trauerflor geschmückt und diese oben an das Portal des alten Garnisonslazaretts stehende Pumpe befestigt. Als nun die Kirchenbesucher heimkehrten und auch der Zuzug anderer Bürger immer stärker wurde, rief dieses Zeichen der Trauer um die abgeschaffte Kirmes eine allgemeine Entrüstung hervor. Es kam zwischen den alten Bürgern und den beiden Erstgenannten zur Auseinandersetzung, die alsbald zu einer regelrechten Keilerei ausartete. Der Tumult nahm immer größere Dimensionen an und Herrn Pet. Spahl gelang es, die Pumpe zu ersteigen, um die Trauerweide zu entfernen, was wieder andere Gesinnungsgenossen vereiteln wollten. Da erschien die Polizei und an der Spitze Herr Inspektor „Lode“, und er war somit die Ursache, dass der Tumult noch größer wurde. Als die Polizei sah, dass sie nichts auszurichten vermochte, zog sie sich schleunigst zurück, und Herr „Lode“ flüchtete durch das Nonnengässchen, durch das Besitztum des Stellmachermeisters Nikolaus Kastei und kam so über den Kaltenhof durch die Wöllersgasse baldigst auf die Löhrstraße in sein Amtszimmer, wo er über sein Vorgehen nachdenken konnte. Als die Trauerweide von der Pumpe entfernt war, verlief sich die Menge, alles beruhigte sich, nur in den Wirtschaften ging es lebhaft zu.

Festzug in der Weißergasse um 1930

Einige der Notabelen der Weißergasser Bürger berieten nun, was zu tun sei, um das Volksfest noch einmal zu retten. Am Nachmittage fand dann eine Versammlung bei Witw. Eisenbarth statt, wo den Anwesenden der Vorschlag unterbreitet wurde, einige Bürger zu wählen, die den Herrn Oberpräsidenten aufsuchen sollten und diesem die Vorgänge mitzuteilen und ihn zu bitten, die Kirmesfeier zu gestatten. Alles war mit dem Plane einverstanden, und es wurden die Herren Jos. Römer, Joh. Federspiel, Peter Spahl und Mich. Friedrich gewählt, die auch die Wahl annahmen. Gegen 3 Uhr sah man die Genannten im Bratenrock und Zylinder die Reise zu dem Herrn Oberpräsidenten antreten, und alles harrte mit Spannung auf das Resultat, das die Unterredung zeitigte. Der damalige Oberpräsident, Herr von Pommer-Esche, empfing die Debütierten in der freundlichsten Weise und ließ sich die Wünsche vortragen. Als der Sprecher, Jos. Römer, geendet, ging Herr von Pommer-Esche an sein Schreibpult und sagte dem Bittsteller: „Sie sollen ihre Kirmes auch in diesem Jahre haben!“ und gab Herrn Römer ein Schreiben an den Herrn Oberbürgermeister Kadenbach. Alsdann reichte er jedem der Herren die Hand und entließ sie. Oberbürgermeister Kadenbach empfing ebenfalls die Herren und das Schreiben des Herrn Oberpräsidenten und genehmigte die Abhaltung der Kirmes und den vor wenigen Tagen verweigerten Kirmesbaum. Freudestrahlend kehrten die Abgesandten in die Weißergasse zurück und verkündeten ihren Erfolg. Großer Jubel herrschte überall, und nach kaum einer Stunde war die Weißergasse geschmückt mit Fahnen und Girlanden. Eine Musikkapelle durchzog die Straße und spielte lustige Weisen. Da nun auch das Fällen eines Kirmesbaumes seitens des Herrn Oberbürgermeisters erlaubt war, wurden Anstalten getroffen, um wie üblich, den Baum vom Stadtwalde her einzuholen. Der bewährte Fuhrunternehmer „Wallenborns Hennerich“ machte den Wagen mit dem Hebezug parat, währenddessen „Weize Jusepp“, genannt „Ruppel“, die Axt schärfte, mit der er schon so manchen Kirmesbaum gefällt hatte. Am Montag vor Tagesgrauen zog dann eine kleine Kolonne, zu der sich auch der alte Küfermeister „Mühlen“ gesellte, nach dem Stadtwald. Montag nachmittag, gegen 3 Uhr, rückte die Gesellschaft, empfangen von einer Musikkapelle, mit einer mächtigen Tanne in die Weißergasse ein. Da alle Vorbereitungen getroffen waren, so wurde der Baum unter den üblichen Zeremonien aufgerichtet, was großen Jubel hervorrief.

Einbringen des Kirmesbaumes um 1930

So war die alte Kirmesfeier wieder in das richtige Geleise gebracht und überall sah man fröhliche Gesichter. Das einzige, was seit jener Zeit Stand hielt, war, dass von nun an der Wert des Baumes an die Stadtkasse abgeführt werden musste, wohingegen früher der Baum den Bürgern gratis überlassen wurde. Herr Inspektor „Lode“ ist längst zur großen Armee abberufen und verschollen, aber die Weißergasser Kirmes hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten.