Resche Hennerich

Überall in der Altstadt kann man Skulpturen finden von Personen, die heutzutage als Originale bezeichnet werden. Obwohl ihre Zeit oft schon sehr lange zurück liegt, kennt noch so mancher Koblenzer ihre Namen, die oft die Zuneigung erkennen lassen, die der Volksmund ihnen entgegen brachte. Da gab es den Gummi, dat Pefferminzje, dat Blemersch Klär, dä Spitals Andun, dat Harfe-Lehn, und wie sie alle hießen. Eugen Hoewer hat ihnen in seinem Heft „Koblenzer Originale“ ein schriftliches Denkmal gesetzt.

Dabei handelte es sich stets um Außenseiter der Gesellschaft, die, oft befeuert durch eine ausgeprägte Liebe zum Alkohol, zu allerlei Absonderlichkeiten neigten. Gemeinsam war jedoch ihnen allen, dass sie außer sich selbst nie jemandem ernsthaft schadeten, und wenn sie ihre Scherze, ob gewollt oder ungewollt, trieben, dann gingen diese fast immer auf Kosten der in der damaligen Preußenzeit reichhaltig vorhandenen Obrigkeit.

Auf dem diesjährigen Anstecker hat die Arbeitsgemeinschaft Altstadtkirmes sich einen dieser Sonderlinge ausgewählt, der wohl der Bekannteste von allen ist. In der heutigen Zeit, die mit Superlativen um sich werfen muss, um schon Gewöhnliches anzupreisen, wäre er wahrscheinlich der „Superstar der Originale“. Der „Resche Hennerich“, wie er von allen genannt wurde, hat einen nicht unerheblichen Teil seines Lebens im „Adamche“ oder „Kittche“ verbracht, weil er bei gegenüber der Obrigkeit überhaupt keine Angst zeigt und ihr mit einer entwaffnenden Offenheit entgegentrat, die häufig nicht sehr gut ankam.

Beispielhaft seien an dieser Stelle einige seiner Streiche genannt, um zu zeigen, wie der Hennerich durchs Leben ging. Er hatte vermutlich in seiner Jugend im Bereich der Wöllersgasse bereits die Veranlagung, später etwas Besonderes zu werden, war doch seine Großmutter niemand anders als das „Blemersch Klär“, ebenfalls ein bekanntes Altstadt-Original. Er war ein fleißiger Schuhmacher, der allerdings häufig zu allerlei Schabernack neigte. Die Vermutung liegt nahe, dass der Alkohol dabei eine treibende Kraft war.

Sein wohl berühmtester Auftritt geschah, als er nach seiner Militärzeit als Tambour eines Tages durch die Straßen der Stadt marschierte und laut den Generalmarsch schlug. Dies war damals das Zeichen zur Alarmierung der gesamten Garnison, und so strömten viele Hundert Soldaten zu ihrem vorgeschriebenen Antreteplatz. Natürlich war der Übeltäter schnell identifiziert, und Hennerich konnte sechs Wochen lang im strengen Arrest über seine „Missetat“ nachdenken. Als der Künstler Fritz Berlin die Skulptur des Resche Hennerich schuf, erinnerte er durch die Wahl des Motivs an diese Begebenheit.

Aber das war nur einer von vielen Streichen. Insbesondere zur Jugend hatte er eine innige Verbindung, die ihm auf seinen Zügen durch die Altstadt oft in großer Zahl folgte. Dabei wurde ein „Schlachtruf“ immer wieder gesungen: „Resch, Resch, Resch, Eise ess kai Blech, Blech ess kai Eise, datt wolle mer dem Resch beweise!“ Mit der Jugend verbindet sich auch einer seiner bekannten Tollheiten. Als in der Schule im Bassenheimer Hof einer der Lehrer an einem schönen Sommertag gerade seinen Schülern wertvolles Wissen vermitteln wollte, wurde plötzlich die Tür aufgerissen, und herein kam, über das ganze Gesicht strahlend, der Resche Hennerich. Mit den Worten „Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich, dä Resche Hennerich, sein widder mol do“ umarmte und herzte er den Lehrer. Dann wandte er sich an die Schüler und sagte „Kommt, Kenner, gieht jetzt all met, es es doch schuns bahl vier Uhr, net wohr, Herr Lehrer, sie hann doch nix dogäje?“ Das war natürlich eine willkommene Gelegenheit für die versammelten Schängel, und unter dem Absingen der „Resche-Nationalhymne“ stürmte die ganze Bande hinaus auf die Weißergasse und von da über den Altenhof in die Altstadt.

Besonders berüchtigt war unter den vornehmeren Bürgern in Koblenz sein legendärer „Zigarrentrick“.
Den Resche Hennerich sah man niemals anders, als unentwegt an einem reichlich zerkauten Zigarrenstummel lutschen. Begegnete nun dem Hennerich ein bessersituierter Bürger mit imponierender Zigarre, von dem er wusste, dass er im Rauchen etwas anlegte, so schlängelte er sich mit überschwänglichen Höflichkeitsbezeugungen unter Dienern und Bücklingmachen über den Straßendamm an ihn heran, zog ehrfurchtsvoll den Hut und bat: „Lewer Herr, sein se su got on gewe mir ebbes fix, ich hann nämlich meine Zölschhölzjer net bei mir.“ Selbstverständlich reichte ihm jedermann gern seine brennende
Zigarre zum Anzünden hin. Hennerich machte in gravitätischer
Haltung Gebrauch davon, irrte sich aber jedesmal beim Zurückgeben, indem er aus „bloßem Versehen“ die Zigarren vertauschte, die große Zigarre in seinen Mund schob und herzlich dankend dem Feuerspender seinen Stummel hinreichte. Unter großen Entschuldigungszeremonien merkte er natürlich seinen Irrtum, bat untertänigst um tausendfache Verzeihung über das ungewollte Missgeschick. Kein Wunder, wenn der also Gefoppte kurzerhand auf seine Zigarre verzichtete und schleunigst und kaltlächelnd das Feld räumte. Erhob jedoch einer einen entrüstenden Einspruch, dann prasselte es in allen nur möglichen Koblenzer Kosenamen auf den Unvorsichtigen hinab „Dau Heihannes, dau Memmekäkes on Geizhalz, ich hann emmer gemeint, dau wärst en feiner Mann. Datt dau awer su en Knasterkraut däst paffe, datt die Mecke an der Wand kapott ginn, datt hätt ich von Dir nie gedacht. Ich wünsche dir Bullewatz, dau bekämst su vill Schwäre an da … wie seit Christi Geburt Kirsche gewachse sein, Dau Huhbainer,  Dau Dudewagebremser!“

Ein gutes Beispiel für seine völlige Respektlosigkeit war auch die Episode, als er den Landrat „heppe“ ließ. Resche Hennerich befand sich einmal in ominöser Silvester-Vorstimmung  und gondelte vergnügt am Altlöhrtor herum, wo ein bekanntes Sattlergeschäft in einem besonderen Ausstellkasten eine Anzahl Peitschen zur Ansicht und zum Verkauf anbot. Er überlegte nicht lange, langte zu und holte sich ausgerechnet die schönste, prächtig gebogene „Brautschmeck“ aus dem Behälter heraus. Mit seinen listig-blinkenden, weinseligen Wutzeäuglein trollte er nun fürbass durch die Straßen der Altstadt und knallte kreuzfidel und lustig drauf los. Wie ein Zirkusdirektor pflanzte er sich mitten auf der Löhrstraße auf und versetzte mit wuchtigen Schwingenschlägen seiner Peitsche seine wohlgezielten Hiebe gegen die Beine der vorübereilenden Männerwelt, die unter dem hellen Gelächter der hinzuströmenden Schängeljugend in Trapp und Sprünge versetzt wurde. Nur das Weibervolk und die Kinder ließ Hennerich ungeschoren. Nun geschah es, dass ausgerechnet auch der damalige amtierende Landrat Freiherr von Frentz, der als allseits gefürchteter Herr im Hohenfelderhaus wohnte, ihm in die Quere kam. Der tolle Hennerich erfasste blitzschnell die Situation, und lustig zwinkernd rief er dem Landrat zu: „Herr Landrat, Sie wolle sicher och emol heppe?“ „Was fällt Ihnen ein, ich werde Sie einsperren lassen“, fuhr ihn entrüstet der Landrat an. „Nix vor ongot Här Landrat. Ich darf met Inne kai Ausnahm mache, on ich well et mir nett met dä annere verderwe. Also hoppla hopp, Herr Landrat, hoppla hopp emmer renn heppe en dat neue Johr“. Und schon legte Hennerich los, Hieb auf Hieb hagelte es gegen die Beine, so dass dem Landrat nichts weiter übrig blieb, als nolens-volens wider Willen in weiten Sätzen sich im nahen Hohenfelderhaus in Sicherheit zu bringen. Aber auch dem Hennerich folgte die Nemesis auf dem Fuße. Noch am gleichen Silvestertage verhaftet und eingesperrt, hatte er sattsam Gelegenheit in 14-tägiger Haft über die Denkwürdigkeit seiner Eulenspiegeleien nachzudenken.

Damals gab es noch kein „soziales Netz“, wie es heute existiert, und so kam es, dass Resche Hennerich am Ende seines aufregenden Lebens völlig verarmt und ohne Freunde im Landarmenhaus in Trier verstarb. Das Andenken an ihn und seine Späße aber wird in Koblenz weiterleben.