Dieser Artikel erschien in der Festschrift zur 14. Altstadtkirmes 2005

Der erste Teil dieses Artikels stammt von dem Koblenzer K. Zimmermann und wurde 1932 in dem zweiten Band von Hans Bellinghausens hervorragender Sammlung „Alt-Koblenz“ veröffentlicht

Der 11. November, der Tag des heiligen Martin von Tours, ist ein in verschiedener Hinsicht wichtiger Tag. Für den Landwirt hatte er vor allem deshalb Bedeutung, weil an ihm die Pacht und das Holzgeld bezahlt werden mußten. Der Tag ist heute noch in Koblenz vielfach als Pachttermin für Felder und Gärten üblich. Bis zum Sachsenspiegel ist er als Zahlungstag nachzuweisen. In alten Koblenzer Kaufverträgen kommt oft der Wortlaut vor, daß etwas verkauft oder versteigert worden ist „bis künftigen Martini auf Kredit gegen hinlängliche Sicherheit“. Wenn jemand Geld geliehen hatte, dann war der Martinstag häufig der Zahlungstermin. Auf Martini war auch ein großer Teil der Zehnten zu zahlen. Der Martinstag wurde als Zahltag gewählt, weil ein Teil der Abgaben in Natur zu leisten war und der Landmann jetzt nach Beendigung der Ernte zur Lieferung im Stande war. Ferner kam er jetzt durch den Verkauf seiner Ernte zu Geld. Daß der Termin auch in der Stadt üblich war, ist ein Beweis dafür, wie eng das Wirtschaftsleben des Städters früher mit dem Lande verflochten war. Auch als Schmaus- und Festtag wird der Martinstag gefeiert. In seinen deutschen Volksbüchern teilt Görres folgenden alten Spruch mit über den November: „All Heiligen fragen nach gutem Wein, Willibrordus sprach, lauffet hin, Martini schenkt jetzt guten Most, Und hat dabei viel guter Kost“. Von alters her wird Martini in Koblenz gefeiert. Nach den Abrechnungen über den Bau der Koblenzer Stadtmauern im 13. Jahrhundert haben die Arbeiter an diesem Tage nicht gearbeitet. Da ihnen verschiedentlich in der Woche um Martini Trinkgeld „ad potum“ gezahlt wurde, kann ein Gelage an diesem Tage angenommen werden. Geschenke zwischen Bekannten waren früher am Rhein ebenfalls üblich. Als Festbraten galt in Koblenz, wie allenthalben am Rhein bis zum Weltkrieg die Gans mit „Füllsel“ von Kastanien, Rosinen und Äpfeln. Im benachbarten Maifeld wird im Kreise Mayen ein Deppekuchen (Topfkuchen) gebacken, der aus geriebenen Kartoffeln besteht und „Märtesbroode“ genannt wird. In einzelnen Gebieten der Eifel schenkt das „Märtesmännchen“ den Kindern Äpfel, Birnen, Nüsse, die sich am Martinsmorgen in den Schuhen finden. Für den Koblenzer hat der Martinstag noch deshalb eine besondere Bedeutung, weil an ihm, dem 11. im 11. Monat, abends (!!!) um 11 Uhr 11 Minuten die Fastnachtszeit beginnt. An diesem Tage beruft Prinz Karneval zum ersten Male im Jahr seine Getreuen zur Inauguration der Fastnacht, um den Feldzugsplan für die kommende Fastnachtszeit zu entwerfen. Die Jugend hat ihre Freude am Mertesfeuer, das in Koblenz allerdings seit 1907 in einen Merteszug umgewandelt worden ist. Der Brauch des Martinsfeuers war im ganzen Rheinland und darüber hinaus verbreitet. Die Martinsfeier der Jugend vereinigte früher drei verschiedene Vorgänge: 1. Die schon Wochen vor dem eigentlichen Fest beginnende Sammlung des Brennmaterials unter Absingen eines Heischeliedes; 2. der Bettelgang der Kinder am Martinstage zum Heischen von Gaben (Früchten, Geld usw.) unter Absingen von Martinsliedern; 3. das Abbrennen des Martinsfeuers. Das Martinsfeuer bildete früher den Kern und Hauptteil der Feier. Heute sind in den meisten Orten, besonders in den Städten, einzelne dieser Vorgänge beseitigt, so daß sich meist nur noch ein Akt der alten Feier erhalten hat, während die beiden anderen verschwunden sind. Die vorhandenen Quellen lassen uns nicht mehr die Feier bis zu ihrem Ursprung verfolgen. Jedoch sind für Koblenz die Wandlungen der Mertesfeier im Laufe von 100 Jahren genau zu erkennen. Bereits in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurde versucht, die Feuer zu verbieten. Kurfürst Clemens Wenzeslaus ließ gar eine mindestens 14-tägige Strafarbeit auf der Landstraße androhen, jedoch vergeblich. Vor hundert Jahren und wohl schon früher begann in der zweiten Hälfte des Oktober das Sammeln von Brennmaterial. Scharenweise durchzogen die Jungens die Straßen. Sie wurden vom „Mertesmännche“ angeführt, das einen Strohwisch trug und das Gesicht geschwärzt hatte. Es war von anderen Jungen begleitet, die Laternen trugen, die aus ausgehöhlten Rüben geschnitzt waren. Sie sangen das folgende Heischelied:

Heilijer Sant Meerte, Met dä siewe Geerte,

Met dä siewe Rode, Dä A… soll blode.

Blod en dä Bäckerschhaus, Breng mer en warme Weck eraus,

Aus, Maus, Du’t Haus, Breng mer ä Steck Holz eraus Fur’t Mertes-Feuer!

Hierauf folgte, wenn nichts gegeben wurde:

Ich hann noch weit eromm ze ginn, Ginn off harte Staine,

Met dä lange Baine, Met dä korze Knee.

Loß die Schelme flege, Flege en dä Bäckerschhaus.

Breng mer en warme Weck eraus, Fur’t Mertes-Feuer!

Dann wurde die Forderung ungestümer:

Dievelich, Dievelich, Damm! Breng mer en half Mann!

Dievelich, Dievelich, gieh! Breng mer en Beusch Strieh Fur’t Mertes-Feuer!

Blieb auch das erfolglos, dann wurde unmutig gesungen:

Äppel on Biere am A… gebacke, Freßt, dat die Zänn knabbe, Knabb, knabb, knabb!

Die Lieder erlitten im Laufe der Zeit einige Abänderungen. In dem Heischelied werden an Stelle der „siewe Geerte“ (Gerten) „siewe Keerze“ (Kerzen) gesungen, weil das Wort Gerte im Koblenzer Sprachgebrauch verloren ging und die Jugend es nicht mehr deuten konnte. Das Lied lautete zuletzt:

Heilijer Sankt Mertes, Met dä siewe Kehrtze,

Met dä siwwe Rohte, Die Nas soll blote.

‚t Blot laift en’t Bäckerschhaus, Breng mer en warme Weck eraus,

Mir aine, die aine,Annere Kenner gar kaine,

Stiwwele, Stiwwele, Stang! Geff mer en half Mann Oder en Bau Strieh Fur’t Mertes-Feuer!

Eine „Mann“ (holländisch mand) ist ein Korb, besonders ein Waschkorb. Bekam man in einem Hause nichts, dann wurde gesungen:

Oh, dau ahl Schnotterbix, Gett ons alle Johre nix!

Bekam man etwas, hieß es:

Dank scheen fur’t Mertes-Feuer!

Beim Einsammeln, das in Trupps erfolgte, die sich straßenweise zusammensetzten, kam es oft zu Streitigkeiten zwischen den Jungens der verschiedenen Straßen. Das Kampflied hieß dann und heißt noch heute so:

Stiwwele, Stiwwele, Stang, Vur der Kasterschgaß hamm mer kai Bang!

Mer hollen se met en’t Gäßje, Doh haue mer inne dat Schäßje.

Am Martinsabend wurde das Martinslied gesungen, durch das Äpfel, Birnen, Nüsse, auch wohl Geld erbettelt wurde:

Dä Mertes, dä Mertes, Dat wor en gode Mann,

Dä schneid ä Steck vom Mandel ab, On gof’t em arme Mann.

Bekamen die Kinder nach diesem Liede nichts, sangen sie:

Dotz, Dotz, Dillije-Dotz, Wer nix gett, dä es nix notz.

Das Feuerabbrennen innerhalb der Stadt, das den Höhepunkt des Martinsfestes darstellte, war schon seit langem verboten. Trotzdem wurden viele „Feuercher“ gemacht, da es einen besonderen Reiz hatte, dabei von den Schutzleuten gestört zu werden. Beliebte Plätze für das Mertesfeuer waren das Glacis (Abdachung der äußeren Festungsmauer) und der Exerzierplatz am Markenbildchen. Die Kinder trugen „Mertesköpp“, auch „Knollekäpp“ genannt, die aus Rüben (Knollen), seltener aus Kürbissen geschnitzt waren. Augen, Nase und Mund werden aus der ausgehöhlten Knolle herausgeschnitten. Eine brennende Kerze wird hineingesteckt. Papierlampions wurden früher nicht für „echt“ angesehen. Sie sind eine neue Mode. Die Feier bestand bis etwa 1907. Dann wurde nach dem Vorbild in niederrheinischen Städten, besonders Düsseldorf, ein Wandel herbeigeführt. Bürger, die ein sinniges Empfinden für die Jugendfreuden ins Mannesalter bewahrt haben, sorgten dafür, daß der alte Brauch in einer veränderten Form erhalten blieb. Veranlassung waren vorgekommene Auswüchse und die infolge der Entwicklung der Stadt verschwindende urwüchsige Eigenart dieses Festes. Die organisierte Feier vollzieht sich jetzt in Koblenz in folgender Weise: 1. Sammlung der Beiträge für die Unkosten, Ankauf von Fackeln usw. durch Listen (Ersatz des Bettelgangs); 2. geordneter Fackelzug unter Begleitung von Erwachsenen, St. Martin hoch zu Roß reitet vor dem Zuge, Musikkapellen begleiten den Zug (Ersatz des Feuers). (Wie man sehen kann, war hier schon der Ablauf des Merteszochs, wie er bis heute abläuft, vorgegeben. Lediglich das Feuer kam wieder zu Ehren und ist für die Kinder neben dem Martinsweck wohl die Hauptattraktion). Als die Beteiligung zu groß wurde, fanden in Koblenz zwei Züge statt. Einer war in der Altstadt und einer in der Vorstadt. 1925 wurden die gesammelten Beiträge den durch das Hochwasser Geschädigten zur Verfügung gestellt. Wegen des Hochwassers konnte damals kein Zug stattfinden.
Soweit der Beitrag aus dem Buch „Alt-Koblenz“. Auf einen anderen interessanten Artikel zu diesem Thema in der „Zeitschrift des Vereins für rheinische und westfälische Volkskunde“, 1911, Drittes Heft wurde ich durch Herrn Koelges vom Stadtarchiv Koblenz aufmerksam gemacht. Der Artikel unter dem Titel „Zum Martinsfeste. Ein Versuch der vergleichenden Volkskunde“ von Albert Ostheide befasst sich mit den Ursprüngen des Martinsfestes sowie den Feiern an diesem Tage. Auf Seite 169 des Heftes wird dabei auch unsere Heimatstadt erwähnt, und der Beitrag zeigt, dass Weißergasse und Kastorgasse schon immer eng miteinander verbunden waren – allerdings auf ihre ganz eigene Art und Weise!

(…) Schon H. Usener hatte aus dem Coblenzer Martinsliedchen das Richtige geschlossen. Es heißt dort: „Der Spruch, den die Coblenzer Jungen bei ihren Umzügen von Haus zu Haus absingen, lautet: Heilige Sankt Märte, Mit dene siebe Kerze (lies Gerte), Mit dene siebe Rute, Die Nas soll blute, Das Blut läuft übers Bäckers Haus: Hol dir einen Weck heraus, Mir eine, dir eine, Annere Kinner gar keine.

Dazu fügen die Buben aus der Kastorgasse: Stiwele, stiwele stang, Vor die Weisergässer ham mer kei Bang, Die locke mer in e Gäßche, Un haue ihne dat Schößche,

die aus der Weisergasse: Stiwele, stiwele stang, Vor die Kastorsgässer ham mer kei Bang usw.

Die Kastor- und Weisergasse sind zwei stark voneinander abliegende Straßen des ältesten Coblenz, offenbar die Mittelpunkte zweier Stadtteile. Die blutigen Nasen lassen keinen Zweifel darüber, dass ein ernster Faustkampf zwischen den Buben der genannten beiden Straßen ausgefochten wird oder doch ausgefochten zu werden pflegte. Eine richtige caterva zweier vici… Und damit ist denn auch der mythologische Hintergrund des Brauches aufgeschlossen. Die Balgerei der beiden Straßen oder Viertel ist die irdische Nachbildung des siegreichen Kampfes, mit dem am selbigen Tage der Winter den Sommer überwindet und austreibt.“

Womit also endgültig bewiesen wäre, dass die alten Zwistigkeiten zwischen Kastor- und Weißergässern etwas Mythenhaftes hatten und den epischen Kampf der Jahreszeiten nachbildeten. So gesehen ist es ja beinahe zu bedauern, dass man sich heute so gut verträgt…