Dieser Artikel erschien in der Festschrift zur 18. Altstadtkirmes 2009

Elf Jahre in Fesseln Titelblatt_6_skaliert

Elf Jahre in Fesseln – unter diesem reißerischen Titel veröffentlichte der Koblenzer General-Anzeiger eine Schrift von Jakob Wenz, in der sehr ausführlich die vermeintlichen und tatsächlichen Leiden der Koblenzer Bevölkerung in der Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg zusammen gefasst wurden. Dieses Sonderheft gibt einen guten Einblick in das damals äußerst belastete Verhältnis der beiden Nachbarstaaten. Trotz vielfacher Versuche der französischen Besatzer, mit Zuckerbrot und Peitsche eine freiwillige oder auch erzwungene Abspaltung des Rheinlands vom Deutschen Reich zu erreichen, war die weit überwiegende Einstellung der Koblenzer und rheinischen Bevölkerung eindeutig reichstreu und den fremden Mächten sehr ablehnend gegenüber eingestellt. So steht in der Schrift von Jakob Wenz u.a.:  „So richten wir unseren Blick heute rückwärts auf eine Zeit voll Elend, Leid und Schmerz; wir blicken zurück auf die Amerikanerzeit mit ihrer Unsicherheit, den brutalen Ausschreitungen und Rohheiten, die Tage der Franzosenherrschaft mit ihren Folterungen und schikanösen Vereinigungen bis aufs Blut (…), die Separatistenputsche mit dem schamlosen Missbrauch bewaffneter Macht und der Schändung unserer vaterländischen Gefühle.“
Im Waffenstillstand vom 11. November 1918 war die Räumung des linken Rheinufers und dessen Besetzung durch die ehemaligen Feinde vereinbart worden. Ein großer Teil der 3. Armee zog auf seinem Rückzug aus Frankreich in das rechtsrheinische Reichsgebiet im Laufe des Novembers durch Koblenz. Fast durchgehend marschierten Truppenteile in den nächsten Wochen durch die Stadt, bis am 7. Dezember 1918 um 15:45 das Infanterieregiment 254 als letzte deutsche Militäreinheit über die Pfaffendorfer Brücke abzog. Am 12. Dezember 1918 dann zogen die ersten amerikanischen Soldaten in Koblenz ein.
Was der Bevölkerung in der Amerikanerzeit ganz sauer aufstieß, war der „riesenhafte Kraftwagenverkehr, den man nie vorher geahnt und später zu keiner Zeit mehr gekannt hat.“ Ein ganzes Kapitel unter der Überschrift „Tollwütige Raserei“ beschäftigt sich mit diesem Phänomen, ebenso wie die ausführliche Beschäftigung mit dem Thema „Alkohol und Amerikaner“. Im Anhang des Sonderdrucks sind die Verkehrsopfer jener Zeit namentlich festgehalten.
Allerdings standen nicht alle Koblenzer den Amerikanern völlig ablehnend gegenüber, wie man aus der Tatsache ersehen kann, dass die Zahl der unehelichen Kinder, die im Frieden im Jahresdurchschnitt etwa 90-100 betrug, während der Amerikanerzeit auf 250-300 anstieg. Auch ca. 1.200 Ehen wurden in dieser Zeit zwischen Soldaten und deutschen Frauen geschlossen. Dazu beigetragen hat möglicherweise auch die Tatsache, dass die Soldaten, die Deutsche geheiratet hatten, nicht mehr in Deutschland bleiben „durften“ und nach Amerika zurücktransportiert wurden. Die Ausführungen über die Amerikaner enden mit den Worten „Gerechterweise muss auch anerkannt werden, dass das Verhalten der Amerikaner in den letzten Monaten vor ihrem Abrücken nur noch wenig Anlass zu Klagen gegeben hat.“ Man vermeint zwischen den Zeilen zu lesen „Es war ja doch nicht ganz so schlimm“.
Diese Einstellung änderte sich schlagartig, als die Amerikaner abberufen wurden und die Franzosen das Kommando übernahmen. Deren Streben nach dem Rhein als Ostgrenze bereits während der amerikanischen Besatzungszeit hat General Allen in seinem „Rheinland-Tagebuch“ sehr eindringlich geschildert, und der Koblenzer Bevölkerung schwante nichts Gutes, als am 24. Januar 1923 das Sternenbanner auf der Festung Ehrenbreitstein eingezogen wurde (das selbe Sternenbanner kehrte übrigens nach dem 2. Weltkrieg noch einmal zurück nach Koblenz, als die Amerikaner es erneut über dem besetzten Koblenz hissten).
Der Beginn der Beziehung zwischen den Koblenzern und den Franzosen nach dem ersten Weltkrieg war denkbar schlecht. Im Gegensatz zu den Amerikanern griffen die neuen Herren sofort in den inneren Verwaltungsapparat der rheinischen Behörden ein. Außerdem war eine der ersten Handlungen der französischen  Besatzer, über dem Eingang der heutigen Rhein-Kaserne ein großes Schild mit dem neuen Namen „Quartier Marceau“ anzubringen.

Quartier Marceau

Auch alle anderen Kasernen wurden sofort mit französischen Namen versehen. Außerdem war kurz zuvor, am 10./11. Januar 1923, die Besetzung des Ruhrgebietes durch große Truppenkontingente der Belgier und Franzosen erfolgt, um sich die Kohlelieferungen von dort zu sichern. All dies ließ nichts Gutes für die nächsten Jahre erwarten. Als Reaktion auf die Besetzung des Ruhrgebietes rief die Reichsregierung die Bevölkerung der besetzten Gebiete zum passiven Widerstand auf. Diesem Aufruf wurde in großen Teilen gefolgt, und es kam auch zu Sabotageakten gegen die Besatzer, die wiederum immer größere Repressalien gegen die Bevölkerung ausübten. U.a. wurden zwischen 1.500 und 2.000 Menschen, Beamte und ihre Familien, aus den besetzten Gebieten ausgewiesen. Darunter befand sich auch der Oberpräsident Dr. Fuchs, der höchste Beamte der Rheinprovinz, der verhaftet und ausgewiesen wurde, um den Widerstand zu brechen. Der Bahnhof und andere öffentliche Gebäude wurden besetzt, und die Wogen schlugen auf beiden Seiten hoch in dieser ersten „heißen“ Konfrontationsphase. Die Situation der Menschen wurde immer verzweifelter, da auch die Weltwirtschaftskrise mit ihrer unglaublichen Inflation die Lage zusätzlich verschlechterte. In der Erkenntnis, dass der passive Widerstand auch und gerade den eigenen Landsleuten schweren Schaden zufügte, wurde dieser Ende September von der Reichsregierung abgebrochen.
Parallel dazu erfolgte in Koblenz auch die Zerstörung der Festungswerke, was letzten Endes ein Gewinn war, da die Stadt an verfügbarer Fläche gewann, aber natürlich auch wieder als Demütigung empfunden wurde. Die Festung Ehrenbreitstein entging damals der Schleifung übrigens nur durch den entschiedenen Widerstand von General Allen.

Caserne Kleber_Bureau Colonel_Poste

Ein weiterer Konfliktpunkt waren die Bestrebungen einer Gruppe von Separatisten, das Rheinland vom Reichsgebiet abzutrennen. Unmittelbar nachdem die Franzosen das Zepter übernommen hatten, witterten diese Morgenluft. Durch Gerüchte aufgeschreckt, dass die Separatisten einen Putsch planten, organisierten sich einige Hundert Bürger in einer Art Bürgerwehr, die zwar ohne Feuerwaffen, aber sonst mit so ziemlich allen Schlag- und Stechinstrumenten bewaffnet die öffentlichen Gebäude sicherten. Einen Anlass zur weiteren Verschlechterung des Klimas lieferte ein Überfall von Jugendlichen auf die Gutenberg-Druckerei, die einem der führenden Köpfe der Separatisten gehörte. Die französische Rheinland-Kommission, das höchste Organ der Besatzungsmächte in den besetzten Gebieten, verurteilte die Stadt Koblenz daraufhin zu Schadensersatz, den diese jedoch ablehnte. Dies nahm die Kommission zum Anlass, alle Einnahmen aus Holzverkäufen der Stadt zu beschlagnahmen. Überdies wurden die Räume des „Koblenzer General-Anzeiger“ besetzt, wo fortan eine separatistische Zeitung gedruckt wurde.

Nachdem es bereits in Düsseldorf zu einem blutigen Zusammenstoß von Separatisten mit deutschen Polizisten gekommen war, bei dem die französische Besatzungsmacht Partei ergriff und die Polizisten entwaffnete, ging der Sturm entlang des Rheins los. Am 22. Oktober marschierten ca. bewaffnete Separatisten, die von den Franzosen mit der beschlagnahmten Eisenbahn nach Koblenz gebracht worden waren, vor die Polizeidirektion am Kaiser-Wilhelm-Ring (heute Kreisverwaltung Mayen-Koblenz) und forderten die Übergabe der Stadt. Gleiches taten sie vor dem Rathaus. Es sammelte sich jedoch eine große Menschenmenge, die ihnen feindselig gegenüber stand. Als einer der Separatisten einen Schuss abfeuerte, kam es zu einer wüsten Keilerei, bei der wie durch ein Wunder niemand getötet wurde. Allerdings gab es 58 teils schwer Verletzte. Anders als in Düsseldorf, wo sie die Separatisten massiv unterstützt hatten, hielten sich die französischen Soldaten in Koblenz zunächst zurück.

Caserne Lafayette

Nach diesem gescheiterten ersten Versuch wurden in der Folge weitere bewaffnete Separatisten nach Koblenz gebracht, während in verschiedenen rheinischen Städten schon die „Rheinische Republik“ ausgerufen wurde. Unter dem Schutz starker französischer Truppenverbände marschierten die Separatisten schließlich zum Schloss und hissten dort die grün-weiß-rote Separatistenfahne. Am 23. Oktober 1923 gründeten sie die „provisorische Regierung der Rheinischen Republik“. „Bezirks- (Orts-) Kommissar von Koblenz wurde der Weinhändler Theodor Oehmen. Diese Vorgänge führen erneut zu einem Massenauflauf der Koblenzer Bevölkerung am Schloss, die versuchte, durch die französischen Soldatenreihen zu gelangen. Dieses Mal jedoch gingen die Soldaten mit massiver Gewalt gegen die unbewaffnete Menge vor, es gab wieder viele Verletzte. Oberbürgermeister Dr. Russell hatte jedoch Erfolg mit seinem Protest bei der Rheinlandkommission, und die Separatisten wurden von der deutschen Polizei aus dem Schloss entfernt und zum Bahnhof eskortiert. Als Folge dieser Ereignisse wurde allerdings Dr. Russell sowie eine ganze Reihe weiterer Beamter aus der Stadt ausgewiesen und die deutsche Polizei endgültig der französischen Oberhoheit unterstellt. Die Stadt wurde unter Belagerungszustand gestellt und die deutsche Polizei entwaffnet. Dies alles diente der Vorbereitung eines weiteren Versuchs, die Stadt zu übernehmen. Dieses Mal waren es 2.000 bewaffnete Separatisten, die vom Bahnhof aus Rathaus, Schloss und Post besetzten. Von der „Obersten Heeresleitung“ wurde die „Rheinische Republik“ vom Koblenzer Schloss aus „regiert“.
Allerdings war damit der Höhepunkt der Macht für die Separatisten bereits erreicht. Die völlige Ablehnung durch die Bevölkerung, fehlende Finanzmittel und Streitigkeiten zwischen den Führungspersonen führten sehr schnell zu einem Auseinanderbrechen der Revoluzzer. Auch die Tatsache, dass die USA und Großbritannien in den Bestrebungen einen Verstoß gegen den Versailler Vertrag sahen und Frankreich daraufhin die Unterstützung der Separatisten beendete, führten zum Zusammenbruch der Abspaltungsbestrebungen. Im Rheinland war der Spuk Ende November beendet, lediglich in der Pfalz gab es noch Aktivitäten bis zum Frühjahr 1924, die zuvor im Koblenzer Schloss vorbereitet wurden.

Quartier General

Im Laufe des Jahres 1924 setzte sich auch in Frankreich die Erkenntnis durch, dass auf gewaltsamem Weg eine Abspaltung des Rheinlands vom Deutschen Reich wohl nicht zu erreichen war. Die Politik gegenüber den besetzten Gebieten wandelte sich merklich, und viele der zuvor ausgewiesenen Personen konnten in ihre Heimat zurückkehren. Allerdings war man noch weit von einer Normalisierung der Beziehungen entfernt, wie sich schon im folgenden Jahr zeigen sollte. Aus Anlass der Erinnerung an die Vereinigung der lothringischen Gebiete mit Deutschland im Jahre 925 sollten im Rheinland eine ganze Reihe von 1000-Jahr-Feiern stattfinden. Die Franzosen hegten die berechtigte Befürchtung, dass diese Feiern eine Demonstration der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich und ein Signal gegen die Besatzer sein sollten. Ein generelles Verbot, wie es zunächst für Koblenz vorgesehen war, wurde zwar nicht ausgesprochen, der Bevölkerung wurde jedoch die Teilnahme durch ein Verbot von Veranstaltungen unter freiem Himmel größtenteils unmöglich gemacht. Eine bleibende Erinnerung an diese Feiern ist übrigens das Weindorf, das bei der Reichsausstellung Deutscher Wein 1925 erstmals erbaut wurde (s. Heft 14).
In den folgenden Jahren beruhigte sich das Verhältnis weiter, und bis zum 30. November 1929, dem Tag, als die Trikolore am Ehrenbreitstein eingeholt wurde, gab es keine größeren Zusammenstöße mehr. Die Befreiung von der Besatzung wurde am 22.Juli 1930 mit einem großen Fest gefeiert, bei dem auch der Reichspräsident zugegen war. Als die Zuschauer abends nach einem Feuerwerk in großer Zahl nach Hause strömten, kam es auf einer Pontonbrücke nach Lützel zur Katastrophe, als diese kippte und 38 Menschen ertranken. Vielleicht war dies bereits ein unheilvolles Vorzeichen für die Dinge, die den Koblenzern in den nächsten Jahren bevor stehen sollten. Nur kurz konnten sie ihre Freiheit genießen, die Nationalsozialisten standen schon bereit, Deutschland in ihre Gewalt zu bringen.

Fort Drouan Caserne Turenne Eingang