Dieser Artikel erschien in der Festschrift zur 7. Altstadtkirmes 1998
Fürst Metternich und seine Vaterstadt Koblenz
von K. Zimmermann
In dem nachfolgenden Artikel ist von den Besuchen des großen Koblenzer Sohnes Fürst-Staatskanzler Clemens Metternich die Rede. Besonders interessant sind dabei die Beschreibungen, die er von einigen Orten in Koblenz und insbesondere der Altstadt gibt. Es zeigt sich, dass durch die Wirren der französischen Revolution auch damals in relativ kurzer Zeit große Veränderungen in Koblenz stattgefunden hatten.
Der Fürst-Staatskanzler Metternich beginnt seine Autobiographische Denkschrift mit den Worten: ,,Geboren in Koblenz im Jahre 1773, fiel meine Jugend in die letzte Periode, welche der sozialen Revolution in Frankreich voranging und ihr zur Einleitung diente. Im väterlichen Hause mit treuer Sorgfalt erzogen, wuchs ich heran unter den Eindrücken meiner reichsständischen Geburt, der öffentlichen Stellung meines Vaters im Kaiserlichen Dienst, des französischen gesellschaftlichen Lebens und der moralischen Flauheit, welche die kleineren deutschen Staaten vor dem Sturm, der sie bald darauf vernichten sollte, charakterisierte.“
Der Vater Metternichs, Graf Franz Georg Metternich, hat als Kaiserlicher Gesandter bei den rheinischen Kurstaaten im gesellschaftlichen Leben eine bedeutende Rolle in Koblenz am Hofe des letzten Trierer Kurfürsten gespielt. Es sei nur auf seinen Versuch hingewiesen, durch Wieland für Koblenz ein deutsches Theater zu gewinnen. La Roche nennt ihn einen aufgeklärten vaterlandsliebenden Minister. (…)
Der Fürst-Staatskanzler weilte 1818 zum ersten Male auf seinem Schloss Johannisberg und teilte seiner Gemahlin mit, dass er am 14. und 15. September in Koblenz sein werde. Man erkennt seine Freude, die alte Heimat wieder zu sehen. Er will alle Orte besuchen, wo seine Mutter die schönsten Jahre ihres Lebens verbracht habe. Der Brief, den Metternich an die Mutter von Koblenz aus am 15. September 1818 richtete, lautet in der Übersetzung (Metternich schrieb auf eine Empfehlung seines Vaters in seiner Vatersprache deutsch, an seine Mutter jedoch in französisch):
„Ich schreibe Dir, meine gute Mutter, von hier, damit Du von Deinem Sohne einen Brief erhältst, der an diesem Orte geschrieben ist. Vorgestern abend bin ich hier bei Anbruch der Nacht ange-kommen. Es ist schwer sich etwas Schöneres vorzustellen, als den Weg, der von Bingen hierher führt. Ich glaube, dass er selbst der Fahrt auf dem Flusse vorzuziehen ist. Man begleitet diesen fortwährend auf einer herrlichen Straße, die in zwei Jahren nichts mehr zu wünschen übrig lassen wird. Denn das Geländer, das man hier errichtet, ist nicht allzu hoch, um die schönen Ausblicke zu stören. Die Umgebung von Koblenz ist hervorragend verschönert, besonders durch die schönen Landstraßen, die hier nach allen Seiten hinausführen. Kommt man unter die schachbrettartig gepflanzten Bäume vor dem Schloss, dann wundert man sich, dass man ohne Nervenunfall unten an der Karthause gegangen ist, mitten durch die Gärten, wo der verstorbene Vater Knitehus geglaubt hat, die Gartenkunst zu betreiben. Die Bäume, die wir damals sahen, als sie vor dem Schlosse gepflanzt wurden, sind gewaltig groß geworden. Man meint, man wäre hier in einem weiten Walde. Das ist für jemand, der sie so klein wie Stecken gesehen hat, eine traurige Erinnerung. Das Schloss selbst ist das Bild eines ganz verlassenen Gebäudes. Türen, Fenster, alles ist zerbrochen. Es beherbergt heute einige militärische Anlagen. Der König will es wieder herstellen, aber eine endgültige Bestimmung ist noch nicht getroffen. Die Stadt selbst steht noch da, wie wir sie verlassen haben. Das Innere der Altstadt hat gewonnen, nicht weil die Häuser dort verändert wären, aber die Straßen sind besser gepflastert und die schrecklichen Schilder, die die Aussicht versperrten, haben Aufschriften nach Pariser Art Platz gemacht. Im allgemeinen erkennt man, dass die Stadt einige Jahre französischer Herrschaft durchgemacht hat. Dieser Einfluss ist bemerkbar in vielen Dingen, besonders an den Läden. Unter anderem sind auf den Plätzen gut gebaute Brunnen. Vor der St. Kastorkirche sieht man einen, der folgende Inschrift hat: „Erigée par le préfet l’ans 1812, memorable par la campagne de Russie“. Darunter aber steht: „Vu et approuvé par nous, Commandant russe à Coblentz, le 1er Janvier 1814“ (Metternich gibt die Inschrift dem Sinne nach aus dem Gedächtnis wieder. In Wirklichkeit lautet sie anders. Die Übersetzung der originalen Inschrift lautet in etwa wie folgt. Zunächst schrieb der französische Statthalter: Errichtet zur Ehre unseres Feldzuges zur Einnahme Russlands 1812. Nach dem offensichtlichen Fehlschlag dieses Unternehmens schrieb dann der russische Stadtkommandant 1814 darunter: Gesehen und bestätigt. Der russische Stadtkommandant. – Eine historische Anekdote, für immer auf dem Brunnen festgehalten). Auf den drei Höhen, die die Stadt beherrschen, werden große und schöne Befestigungen erbaut: Auf dem Ehrenbreitstein, dem Petersberg (das ehemalige Brunnenstübchen) und hinter der Karthause. Die Umgebung von Koblenz rechnet sicher zu den beachtenswertesten Punkten am Rhein. Unser Garten an der Mosel ist jetzt ein Feld. Ich habe unser Haus besucht, sein Eingang ist jetzt, wie er immer hätte sein sollen. Die Reitbahn, die Remisen, das alte Tor, die Trennungsmauer zwischen den beiden Höfen, alles das ist verschwunden. Jetzt ist da eine niedrige Mauer mit zwei Toren mit Eckpfeilern, die den Eingang zum Hof bilden. Ein kleiner offener Platz ist da, wo früher die Häuser den Eingang versperrten. Das Haus ist in einem jämmerlichen Zustande und ganz verdreckt. Man erkennt nur noch Spuren von dem, was es einst war. Das Appellgericht hat den größeren Teil in Beschlag genommen; das kleine Haus bewohnt ein General, der sich dort, wie ich annehme, sehr beengt fühlt. Ich bin durch den Garten gegangen. Im englischen Teil stehen jetzt 20 große Bäume ohne Ordnung, die an Stelle der alten Büsche emporgewachsen sind. Die Eremitage ist verschwunden; ihren Platz kann man nur noch an dem Hügel erkennen, auf dem sie gestanden hat. Die Wiese ist noch erhalten; aus dem kleinen Spalier sind aber große Bäume geworden, so groß, wir man sie auf den Feldern sieht. Die Linden auf der Terrasse sind gewaltig hoch geworden und hindern die Aussicht. Nur die Freskogemälde haben der Zerstörung der Zeit widerstanden. Die Stallmauer ist offen; die Ställe haben mich erschreckt durch ihre Leere. Von Bekannten sind hier nur noch die alte Gräfin von der Eltz, der es schlecht geht (an einer Seite ist sie am Körper vom Krebs zerfressen) und der Graf Remus, der einige Monate im Jahr im Bürresheimer Hof wohnt. Seine zwei Tanten leben noch und rechnen damit zu heiraten, so oft sich ein Freier zeigt. Der übrige Adel ist verschwunden und mit ihm sein Vermögen. Getreu den Gewohnheiten ihres Landes haben alle diese Herren sich ruiniert, soweit nicht die Revolution sie vernichtet hat. Der Graf von Boos ist der letzte, der von hier weggegangen ist; er ist in Sayn, wo er von den Folgen seines Pariser Aufenthaltes gequält wird. Da hat er seine Gesundheit ruiniert und sein Vermögen im Spiel verloren. Der Kerpensche Haus ziert die Aufschrift eines Tuchhändlers. Der Leyensche Hof, der sich in sehr gutem Zustande befindet, wird vom Militär-Gouverneur bewohnt. Die „Burg“ Kesselstadt ist in eine Blechfabrik verwandelt. Der Bassenheimerhof wird eines Tages über dem Kopfe eines Generals zusammenstürzen, der in ihm wohnt. Im Laacher-Hof ist unter dem früheren Namen eine Wirtschaft. Ich wohne im Trierhof, der einer der schlechtesten Gasthöfe von Europa ist. Im Tal ist ein besserer. Von dem alten Schloss unter dem Ehrenbreitstein ist keine Spur mehr da; an seiner Stelle steht eine Batterie von 24 Kanonen. So ist der Anblick der Stadt, die noch auf ihrem alten Platze steht, aber nicht mehr die alte Stadt ist. Seitdem ich hier bin, habe ich noch nicht zwei bekannte Gesichter gesehen. Wenn man, wie ich, hierher kommt, erkennt man, dass 25 Jahre genügen, um eine ganze Generation zu verschlingen. Die Straßen wimmeln von Kindern von denen, die in unserer Zeit Kinder waren, und man betrachtet mich wie ein Gespenst aus einer anderen Welt. (…) Das ist alles, was ich Dir zu sagen habe. Ich hoffe aber, liebe Mutter, dass Du meinen Brief mit der Teilnahme lesen wirst, die man alten Erinnerungen widmet.“
Metternich erwähnt in dem Briefe die Landstraße den Rhein entlang besonders, weil sie in seiner Jugend noch nicht bestanden hatte. Damals führte die Poststraße von Koblenz nach Mainz über Waldesch und den Hunsrück. Das kurfürstliche Schloss wurde erst in den vierziger Jahren wieder für die königliche Hof-Haltung in Stand gesetzt.
Der Metternicher Hof bestand aus mehreren Gebäuden. Er bedeckte den größten Teil des heutigen Münzplatzes mit seinen Gebäuden und Gärten. Das bis zum zweiten Weltkrieg noch unver-sehrte Hauptgebäude trug an der Front nach der Moselbrückenrampe zu die Aufschrift „Metternicher Hoff“ und die Jahreszahl 1674. Nach der Besetzung durch die Franzosen wurde der Metternicher Hof als Staatseigentum eingezogen. Vorübergehend befand sich damals hier eine Rechtsschule. Die preußische Regierung gab ihn an den Fürsten Metternich zurück. Dieser verkaufte ihn dann im Jahre 1819 an die Regierung, die ihn für verschiedene Zwecke verwenden wollte. So war beabsichtigt, in ihm die Kommandantur einzurichten, da in ihm der Kommandant General von Hoffmann wohnte. Da man befürchtete, dass der Markt deshalb von hier verlegt würde, kauften 1825 die Anwohner der nächsten Straßen den Hof von der Regierung. Er wurde parzelliert und die verschiedenen Gebäude einzeln verkauft.
Der Eltzerhof war an der heutigen Eltzerhofstraße und erstreckte sich bis zum Hospital. Im Renesse-Bürresheimerhof auf dem Florinsmarkt waren die große Kunst-, Gemälde- und Münzensammlung des Grafen Renesse, wie es wohl an Stelle von Remus, das in der Ausgabe der nachgelassenen Papiere des Fürsten Metternich steht, heißen müsste. Das gräflich Boosche Haus stand da, wo jetzt das Gerichtsgebäude ist. Es war 1816 von der Regierung von dem Grafen Boos zu Sayn gekauft worden. Graf Boos war während der Napoleonischen Zeit Ritter der Ehrenlegion und Mitglied des obersten Departementrates geworden.
Das Kerpensche Haus lag an der Ecke Nagelsgasse – Firmungstraße. Bis zu ihm reichte der Garten des „von der Leyenschen Hofes“ am Castorhof. Die Burg nennt Fürst Metternich die Burg Kesselstatt, weil in seiner Jugend dort der Graf Kesselstatt gewohnt hatte. Von 1769 ab war sie an ihn vermietet worden. Während der französischen Zeit wurde in ihr die Blechwarenfabrik von Fink, Schaaffhausen und Dietz errichtet. Der gräflich Bassenheimer Hof und benachbarte Hof der Abtei Maria Laach waren an der Moselbrücke (auf der Seite der Weißergasse). Der Gasthof Trierer Hof lag neben dem Theater. Der bessere Gasthof in Ehrenbreitstein war das Weiße Ross von Groschopp.
Am 25. September kam Metternich wieder nach Koblenz. Wenige Stunden nach ihm traf der österreichische Kaiser in Koblenz ein. Der Kaiser hatte die Reise auf dem Rhein gemacht. In Koblenz wurde übernachtet und am folgenden Tage die Reise zum Kongress in Aachen fortgesetzt.
Metternich, der im Herzen immer Rheinländer geblieben ist, weilte gern, wenn es ihm seine Zeit als vielbeschäftigter Staatskanzler erlaubte, auf seinem Schloss Johannisberg im Rheingau. Von hier aus besuchte er dann auch auf einige Stunden oder Tage seine Vaterstadt. So teilt er im August 1826 seiner hochbetagten Mutter mit, dass er mit einer Gesellschaft auf dem Rhein nach Koblenz fahren wollte. Auf diesen Fahrten nahm er auch seine Kinder, wenn sie in Johannisberg waren, mit. Wenn er sein Geburtshaus besuchte, dann mussten ihm alle Räume, auch die letzten Winkel, aufgeschlossen werden. Mit sichtbarer Rührung betrat er das Zimmer, das früher das Boudoir seiner Mutter gewesen war. Besonders lange weilte er in den einfachen Zimmern des obersten Stockes, in denen er mit seinem Bruder und dem Hofmeister als Junge gewohnt hatte.
Auch in den letzten Lebensjahren besuchte Metternich Koblenz immer wieder und bei jedem Besuch ist aus den Aufzeichnungen die Freude zu sehen, die er dabei empfand. Durch seine Anwesenheit kamen auch bedeutende Gäste nach Koblenz, darunter der König von Preußen, Prinz Wilhelm von Preußen, Prinz Karl von Bayern, der Erzbischof Beissel von Köln, Erzherzog Johann, die Prinzen von Mecklenburg, der Herzog von Nassau und die Großherzogin Stephanie von Baden, um nur einige zu nennen.
Der letzte verbriefte Besuch des mittlerweile vereinsamten Vierundachtzigjährigen datiert von 1857. Anschließend besucht er die Gräfin Eltz in Mainz an ihrem 91. Geburtstag. Dort bekennt er sich noch einmal zu seinen rheinischen Wurzeln. Er bekennt, dass „das Gefühl, welches der Rhein den Deutschen einflößt, nicht auf Illusionen beruht. Dieser Strom ist, alles erwogen, einzig in seiner Art, denn er vereinigt alles, was Natur und Zivilisation an Reizen darbieten können. (…) Der Rhein fließt in meinen Adern, ich fühle es, und deshalb entzückt mich sein Anblick!“
Wie man unschwer erkennt, war auch dieser große Sohn unserer Stadt „gedaaft met Rhein-, Musselwasser on met Wein“, und das hat ihn nie mehr losgelassen.