Die Mainzer Straße
von Willi K. Michels

Natürlich darf auch in diesem Jahr ein Beitrag unseres langjährigen Freundes Willi K. Michels nicht fehlen. Er stammt aus seiner Serie „Unsere Straße“, die Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts in der Rhein-Zeitung erschien. Die Bilder stammen wieder aus meiner Sammlung. Auch in der Mainzer Straße haben sich gegenüber dem Stand vor 30 Jahren viele Änderungen ergeben, so ist z.B. die Bundeswehr zwischenzeitlich zweimal grundlegend reformiert worden, und das III. Koblenzer Korps existiert schon lange nicht mehr. Auch der Königsreichsaal der Zeugen Jehovas ist nur noch Erinnerung. Dies macht auch den besonderen Reiz dieser Artikel aus, in denen ein Bogen von der alten Straße vor dem Weltkrieg in die Neuzeit geschlagen wird, und die in der heutigen Betrachtung schon wieder etliche neuere Entwicklungen erfahren haben.

Der Name Mainzer Straße hat bei den Koblenzern einen guten Klang. Vielleicht liegt es daran, dass sie von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung aus der Innenstadt zur Durchfahrt benutzt wird, wenn es zu frohem Tun geht, etwa zu den Sportstätten auf dem Oberwerth, zum Schwimmbad, zum Spaziergang in den Rheinanlagen, im Stadtwald oder gar zu genüsslichem Umtrunk in weiter südlich gelegene Lokalitäten.

Bild Mainzer Straße – 1

Die Bewohner der Mainzer Straße selbst sind mit ihrer Straße schon lange nicht mehr so glücklich wie noch vor 40 Jahren. Ähnlich wie die Hohenzollernstraße ist die Mainzer Straße eine Rennbahn für Autos geworden. Lärm und Abgase machen hier den Bürgern zu schaffen, gar nicht zu sprechen von den Gefahren, die von den Kraftfahrzeugen her drohen. Tote und Verletzte gab es in den letzten 25 Jahren genug. Ein stetes Ärgernis sind auch die dicht mit Autos vollgepackten Gehsteige. Wenn in der nahen Rhein-Mosel-Halle eine Großveranstaltung abrollt, ist die Mainzer Straße und sind auch ihre Nebenstraßen bis in Höhe Markenbildchenweg oft restlos mit parkenden Autos besetzt. Nicht nur die Menschen, auch die Bäume haben darunter zu leiden. Trotz allem glauben die Mainzer-Straße-Anwohner immer noch an eine gute Lebensqualität ihrer Gegend in unmittelbarer Nähe der Rheinanlagen.

Bild Mainzer Straße – 2

Sitz vieler Institutionen
An Institutionen, die in dieser Straße residieren, fallen besonders ins Auge: Der Sitz des III. Korps der Bundeswehr, der VdK, das Wasser- und Schifffahrtsamt Koblenz, das Bundesvermögensamt, die Zimmermann’sche Wirtschaftsschule, das Schwesternwohnheim des Stift-Krankenhauses, der Bauern- und Winzerverband, der Evangelische Kirchenkreis Koblenz, das Amt für Wiedergutmachung, das Volkshochschul-Heim und das Organisationsbüro von Rot-Weiß Koblenz mit eigenem Stammlokal. Lange Zeit hatten hier die Sportler ihr „Jahn-Heim“ mit Turnhalle. Dort wurde u. a. auch geboxt. Neben den Rot-Weiß-Stuben gibt es in der Mainzer Straße als gastronomische Einrichtung nur noch das altbekannte Hotel garni Eis und am Schützenhof eine Schänke. An der Straße selbst und ihrer unmittelbaren Umgebung sind auch die Gottesdienstzentren der Neuapostolischen Gemeinde, der Zeugen Jehovas (Ecke Markenbildchenweg) und der Siebenten-Tags-Adventisten (Moltkestraße). Auch viele Neubürger wohnen heute in der Mainzer Straße und ihren Anliegerstraßen.

Wer von ihnen weiß, wie dieses Viertel entstand?
Dazu muss man die Arbeiten von Dr. Fritz Michel, der lange Zeit im Markenbildchenweg wohnte, von Dr. Hans Bellinghausen und von Dr. Max Bär zu Rate ziehen.

Bild Mainzer Straße – 3

Eine junge Straße
Die Mainzer Straße gehört zu den verhältnismäßig jungen Straßen von Koblenz. 1889 wurde durch die preußische Regierung endlich dem Drängen der Koblenzer auf Beseitigung der die Innenstadt bis zum heutigen Ebert-Ring einschnürenden Befestigung nachgegeben. Das Mainzer Tor legte man nieder. Eine erste Bresche Richtung Süden war geschlagen. Kurze Zeit später wurde die Stadtbefestigung ganz aufgegeben. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt dem damaligen Oberbürgermeister Emil Schüller zuzuschreiben. Er setzte um die Jahrhundertwende die Akzente für das größere Koblenz.

Prachtvolle Häuser
Binnen weniger Jahre wuchsen bis 1895 die Häuser an der Mainzer Straße, zunächst bis zum Markenbildchenweg, wie Pilze aus dem Boden. Es waren solide, ja zum Teil prachtvolle Häuser. Baulustige gab es genug. Gleichzeitig entstanden die Lennestraße, Adamsstraße, Moltkestraße, Bismarckstraße, Teile der Kurfürstenstraße, der Markenbildchenweg und die Josefstraße. 1890 kam die Verbindung zwischen Mainzer Straße und der damals so genannten Löhrchaussee, die den Namen Schenkendorfstraße bekam. 1910 erhielt ein Teil der Moltkestraße den Namen Roonstraße und der östliche Teil der Rizzastraße führte fortan den Namen Julius-Wegeier-Straße. Erstaunlich: Die Straßen erhielten gleich Gasbeleuchtung, waren gepflastert und mit Gehsteigen versehen.

Ab 1897 konnten die Bürger vom Goebenplatz (heutiger Görresplatz) über die Neustadt durch die Mainzer Straße bis zum Schützenhof mit der Straßenbahn fahren. Zunächst zogen Pferde die Wagen, ab 1898 ging es mit elektrischem Strom. Auf einer Seite der Mainzer Straße gab es lange Zeit auch einen Reitweg. Die gute, alte „Elektrische“ war zu jener Zeit auch zwischen Rheinwerft – Plan – Löhrstraße – Hauptbahnhof (dann weiter bis Stolzenfels) eine Attraktion. Sie hielt in der Mainzer Straße bis 1944 durch und fuhr auf dem anderen stets vergrößerten Liniennetz noch viele Jahre später.

Wer erinnert sich noch daran, dass in den dreißiger Jahren dort, wo heute sich hinter den Gebäuden des III. Korps der ursprünglich für französische Familien nach 1948 gebaute Wohnblock steht, der damals bekannte Reitstall Baitzel-Glade existierte? Unweit davon gab es den Fröbelschen Privatkindergarten, und an der Ecke zur heutigen Januarius-Zick-Straße stand das Krankenhaus der Ärzte-Dynastie Kreglinger. Josef Spies weiß zu berichten, dass 1908-10 auf der Mainzer Straße Mannequins eines Koblenzer Modehauses kleine Modenschauen veranstalteten.

Bild Mainzer Straße – 4

Für die heute Fünfzig- bis Achtzigjährigen war jene Gegend, die Rheinanlagen eingeschlossen, ein ideales Tummelrevier der Jugendzeit. In der Lache fuhren wir Bötchen und auf dem Wall am Kaiser-Wilhelm-Ring, gegenüber der Oberpostdirektion, dort, wo das Max-von-Laue-Gymnasium diesen Hügel verdrängt hat, rodelten wir verwegen mit unseren Schlitten.

1945: Trümmerfeld
Die Bomben, die im Winter 1944/45 fielen, verwandelten auch das Mainzer-Straßen-Viertel in ein Trümmerfeld. An diese Ereignisse und an die schweren Jahre danach lassen sich auch die Bürger dieser Straße, soweit sie heute noch leben, nicht gern erinnern. Ihre Aktivitäten sind auf die Zukunft gerichtet. Sie verlangt den ganzen Menschen. Konnte man diesen Satz nicht auch schon vor neunzig Jahren geschrieben haben?